Geht nicht, gibt’s nicht: Wie die Berger-Brüder aus einer Notlage heraus, das Projekt-Auge entwickelt haben
Es war ein unerwarteter Schlaganfall, der das Leben von Dominik Berger von einem auf den anderen Tag verändert hat. Plötzlich war sein Sichtfeld zur Hälfte eingeschränkt und die Therapiemöglichkeiten für Betroffene eines Gesichtsfeldausfall sind sehr begrenzt. Daraufhin setzte er auf Eigeninitiative und begann gemeinsam mit seinem Bruder Florian ein Trainingsprogramm für die VR-Brille zu entwickeln.
Wenn Bruder Florian gerade nicht für das FutureLab (Ars Electronica Center) arbeitet oder Innovationen für seinen Bruder entwickelt, ist er im Bereich Generative-Art aktiv. Seine Arbeiten findet ihr hier.
Von einem Gesichtsfeldausfall spricht man dann, wenn eine Person einen Teil ihres Sichtfeldes nicht mehr wahrnehmen kann – sei es aufgrund einer Kopfverletzung, einer Gehirn-OP oder wie in Dominiks Fall durch einen Schlaganfall. Trotz dieses Ereignisses hat er sich davon nicht unterkriegen lassen und gemeinsam mit seinem Bruder Florian eine kreative Lösung für das Problem gefunden: das Projekt-Auge.
Der Feind bekommt ein Gesicht
„Der Wunsch einschätzen zu können, inwiefern sich der betroffene Bereich veränderte, war die Geburtsstunde des Projekts! „, so Dominik Berger. „Nach einem Gespräch mit meinem Bruder begann dieser sofort damit mir ein Tool für die VR-Brille zu programmieren das mir genau das ermöglichte – ein Abstecken des betroffenen Bereichs. Rein psychologisch war dies für mich ein echter Meilenstein! Die Software ermöglichte es mir nun den Bereich jederzeit selbst auszumessen und so bekam ‚der Feind‘ ein Gesicht. Auch ist es möglich 2 Messungen miteinander zu vergleichen, um Veränderungen aufzuzeigen.“
Not macht erfinderisch
Bei den Therapiemöglichkeiten für einen Gesichtsfeldausfall unterscheidet man zwischen kompensatorischen Trainings, die darauf abzielen, dass der Betroffene mit der Einschränkung besser klarkommt und den nicht unumstrittenen Restitutionstrainings, die durch gezielter Reizsetzung auf die Wiederherstellung des Gesichtsfeldes abzielen. Diese werden seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in beinahe unveränderter Form angeboten – mittels Kinnstütze vor einem Monitor.
Dominik erklärt uns: „Obwohl die kompensatorischen Trainings eine Besserung im Alltag gebracht haben – richtig sexy ist es nicht ‚nur‘ dafür zu trainieren, dass man mit der Einschränkung besser klarkommt. Interessanter war für mich eindeutig ein Training, das zum Ziel hat, mir die Wahrnehmung wiederzugeben.“
Das Projekt wächst
Die überalteten Restitutionstrainings haben die beiden angespornt ein eigenes, individuelles VR-Training zu entwickeln. „Nachdem wir bereits den betroffenen Bereich in der VR-Brille definiert hatten, war es eine logische Weiterentwicklung, nun auch verschiedene Konzentrationsübungen gezielt für den Problembereich zu entwickeln. Das Erste, was uns da in den Sinn kam, war ein Objekt das wie eine lästige Fliege immer wieder – in zufälligen Bahnen – durch das definierte Trainingsfeld schwirrt, um die Wahrnehmung in diesen Bereich zu trainieren und das Gehirn anzuregen und zu reaktivieren. Dies war für mich die erste Möglichkeit mich gezielt mit meiner Einschränkung zu beschäftigen. Nach jedem Training merkt man, dass diese Beschäftigung etwas in einem in Gang setzt!“ erklärt Dominik Berger.
Viele weitere Reiz-Übungen wurden entwickelt, ausprobiert, verbessert, wieder abgeändert, verworfen usw. – und das auf Zuruf. Denn die Tatsache, dass alles webbasiert entwickelt wurde machte einen unkomplizierten Entwicklungsablauf erst möglich. Änderungswünsche und neue Trainings wurden per Telefon besprochen und konnten nach der Programmänderung gleich getestet werden und nach dem Try-and-Error-Prinzip sogleich Rückmeldung gegeben und angepasst werden.
Das Trainingssetup – Rezept für ein gelungenes Training
Zutaten / Man nehme:
- eine handelsübliche VR-Brille
- WLAN – Internetverbindung
- Eine Prise Zeit (ca. 15-20 Minuten)
Nach Belieben: eine gemütliche Couch & gute entspannende Musik
Zubereitung:
Nehmen Sie sich Zeit in einer angenehmen und entspannten Umgebung. Setzen Sie die VR-Brille auf und starten Sie die entsprechende Webseite. Wählen Sie sich durch Klick auf einen Button Ihr gewünschtes Training sowie den zuvor vermessenen Trainingsbereich aus. Über „ENTER-VR“ betreten Sie danach den visuellen Trainingsraum und das Training beginnt.
Blinde Flecken
„Durch das mehrmalige tägliche Training und der Beschäftigung mit der Seheinschränkung bin ich dahintergekommen, dass ich sehr wohl eine Wahrnehmung in dem betroffenen Bereich habe. Obwohl ich beispielsweise nicht sagen konnte ob ein Dreieck, ein Kreis oder ein Viereck gezeigt wird, war ich dennoch in der Lage Bewegung wahrzunehmen und im peripheren Bereich zu verfolgen. Von dieser Tatsache leitete ich ab, dass die bisherigen Restitutionstrainings, welche lediglich statische Reize in Form von aufblinkenden Formen präsentierten, bei Weitem nicht ideal für ein effektives Training sein können.“
Kreativität trifft Technologie und Innovation
Während das Restitutionstraining mit Kinnstütze noch aus den 90ern des vorherigen Jahrhunderts stammt, haben Dominik und Florian mit dem Projekt-Auge das Training mit eigenen Erfahrungen verbessert und in die moderne Welt des 21. Jahrhunderts gebracht. Die beiden sind zwar keine Mediziner, aber Innovatoren mit Leib und Seele. Florian ist neben seiner Arbeit für das FutureLab (Ars Electronica Center) aktiver Künstler im Bereich Generative-Art tätig. Dominik wiederum ist ein kreativer Geist im Gewand eines Controllers. Mit ihrem Projekt-Auge haben sie bereits beim Ideenwettbewerb EDISON DER PREIS den zweiten Platz im Bereich Kreativwirtschaft abstauben können.
Achtung, kein Medizinprodukt!
Auch wenn das Projekt-Auge Betroffenen helfen könnte, muss betont werden, dass es sich hierbei nicht um ein zertifiziertes Medizinprodukt handelt und daher noch nicht der breiten Masse zugänglich gemacht werden kann. Der Grund dafür sind die Hürden für die Zertifizierung eines Medizinproduktes in Europa.
„Wir sind derzeit am Prüfen, ob ein früherer Markteintritt in Amerika für uns nicht der bessere Weg ist. Natürlich wäre es uns lieber am europäischen Markt zu starten – leider sprengt die europäische Zulassungsprozedur nicht nur unser Budget, sondern auch unseren Zeithorizont.“
Interessierte aller Art – Bitte Melden!
Sollten Sie in irgendeiner Art Interesse am Projekt-Auge haben (sei es als Betroffener zwecks Erfahrungsaustausches, als Unterstützer/Investor, als Wissensträger im Gesundheitssektor …) würden wir uns über eine Nachricht auf info@projekt-auge.at sehr freuen.
Weitere Infos unter www.projekt-auge.at